Abt Ludwig II. Blarer von Wartensee (1526 – 1544)


Abtbuch-Eintrag
Ludwig II. Blarer von Wartensee (1526 bis 1544)854. Ludwig II. gehörte der bekannten aus St. Gallen stammenden Familie Blarer an, die sich nach ihrem Besitz in Rorschach von Wartensee nannte. Er war 1504 der jüngste unter den Kapitularen in St. Gallen und versah die Ökonomie in Rorschach. Seit 1515 erscheint er als Cellerar und Ökonom in St. Gallen selbst. Abt Franz von Geißberg, dessen Vetter er war, bestellte ihn den 11. September 1516 zum Stiftsdekan855. Am 8. August 1526 erschien der schwyzerische Landvogt Joseph Amberg in St. Gallen, um von Abt Franz den Dekan als Abt nach Einsiedeln zu erbitten, nachdem Abt Konrad III. am 20. Juli auf die Abtei verzichtet hatte. Dieser gewährte die Bitte und Blarer verzichtete auf die Pfründen, die er innehatte: nämlich die Pfarrei Gossau und eine Kaplanei an der St. Leonhardskirche zu St. Gallen. Doch nahm er die Berufung nur unter Vorbehalt der päpstlichen Bestätigung an; er war sich offenbar bewußt, daß das Vorgehen der Schwyzer kirchenrechtlich nicht einwandfrei war. Abt und Konvent von St. Gallen versprachen ihm, falls er die Abtei Einsiedeln ohne Pension aufgeben würde, ihn wieder als gleichberechtigten Konventualen aufnehmen zu wollen. Den Schwyzern mußte der neue Abt versprechen, Nutzen und Frommen des ihm anvertrauten Gotteshauses zu fördern, ihnen Rechnung abzulegen, sooft sie es fordern würden, nichts von den Rechten, Besitzungen usw. des Gotteshauses ohne ihren Willen zu veräußern und gegen sie nirgends Recht suchen zu wollen, als bei einheimischen Gerichten. Die Lehen und Schweigen, die der alte Abt oder seine Pfleger verliehen, versprach er, ihren Inhabern zu belassen. Umgekehrt wollten die Schwyzer ihm in allem mit Rat und Tat zur Seite stehen856. Am 10. August ritt Blarer in St. Gallen weg. Die feierliche Installation geschah indessen erst am Tage vor Maria Himmelfahrt, den 14. August. Der regierende Landammann, Martin Andermatt, begleitet von andern führenden Männern, führten den Abt in die Kirche, wo er am Hochaltar sitzend die Huldigung der Untertanen empfing, während ein Te Deum gesungen und die Glocken geläutet wurden. Dann führte man ihn zu seinem Sitz im Chor und hielt ein feierliches Heiliggeistamt.
Der Zustand der Abtei war allerdings ein trostloser, wie Wittwiler857 schreibt: «Derohalben als er dahin kommen, fand er vast ein leer Closter, vnd vill geltschulden, darzu eine solche Verwirrung, vnd merckliche Vnordnung, in Geistlichen vnd Weltlichen sachen, das ihn geruhwen, das Er die Abbtey hat angenommen, es was kein Clösterliche Ordnung, noch vill minder Regularische Disciplin, von wegen das man sich müste behelffen mit mancherley Priesteren vnd Capelianen, die dahin kommen, einem gefiel dieses, dem andern jenes, einer wollt es den weg, der ander disen weg haben, derowegen er ein ernstlich einsehen thun müst».
Sein Vorgänger starb, wie wir oben gesehen, schon den 1. September 1526, so daß Abt Ludwig in seiner Regierung keineswegs gehemmt war. Indessen sollte sich die Besitznahme der Abtei nicht so hemmungslos vollziehen. Schon am 16. November 1526 erhoben die in Tübingen versammelten süddeutschen Grafen und Freiherren gegen die Berufung Blarers Einsprache, weil er nicht dem Hochadel und dem Kapitel von Einsiedeln angehörte858. Aber die Zeiten waren vorüber, wo Einsiedeln nach den Worten Bonstettens «ein Spital und Zufluchtsort der Fürsten, Grafen, Freiherren Herrengenossen Kinder» war. Man kümmerte sich - zumal in Schwyz - nicht mehr um solche Ansprüche. Kaiser Karl V. verlieh ihm am 3. Juli 1532 die Regalien859. Schlimmer war, daß auch Rom von der widerrechtlichen Postulation Blarers nichts wissen wollte. Erst unterm 8. Januar 1528 bestätigte Clemens VII. Ludwig als Administrator des Stiftes860 und erst am 26. April 1533 erfolgte die Ernennung zum Abte861. Doch mußten sich die Schwyzer noch eigens um die kostenlose Erteilung der Bulle verwenden: so armselig stand es damals im Stifte. Unterm 7. Mai 1533 wurde dies bewilligt862. Tags zuvor gewährte Clemens VII. dem Abte das Recht der Pontifikalien, erlaubte ihm, die Minores zu erteilen, Paramenten zu weihen und Kirchen zu rekonziliieren863. Am 4. Oktober 1537 bat Ludwig den Nachfolger Clemens VII., Paul III. um die Bestätigung der Privilegien864. Der Papst willfahrte der Bitte am 13. Dezember und verlieh überdies dem Abte, solange die Häresie in der Schweiz dauern sollte, das Privilegium, Kirchen und Kelche zu konsekrieren und das Sakrament der Firmung zu erteilen865.
Dieses große Privilegium, dessen sich die Äbte heute noch erfreuen, war bedingt durch die Umwälzung, die sich auf kirchlichem Gebiete vollzogen hatte und durch die Einsiedeln schwer betroffen wurde. Wie der letzte Mönch, Diebold von Geroldseck, zu Zwingli überging, haben wir schon gehört. Seit 1527 weilte dieser in Zürich, wo er sich im dortigen Einsiedlerhof aufhielt und die Einkünfte der Stiftshöfe Stäfa, Männedorf, Meilen und Erlenbach für sich beanspruchte. Da das Kloster und die Schwyzer dies nicht zulassen wollten, entspann sich der sogen. Geroldseck'sche Handel, der mehrfach die Tagsatzung beschäftigte und am 20. Oktober 1529 damit endigte, daß Geroldseck eine Pension zugewiesen erhielt, im übrigen aber auf die Stiftseinkünfte verzichten mußte. Er fiel mit Zwingli am 11. Oktober 1531 auf dem Schlachtfelde zu Kappel866.
Weit schlimmer war, daß die Reformation auf einer Reihe von Stiftspfarreien Eingang fand. So gingen die Gemeinden Burg, Brütten, Männedorf, Meilen, Schwerzenbach, Stäfa und Weiningen ins reformierte Lager über867. Auch in Oberkirch-Kaltbrunn drang die neue Lehre vorübergehend ein. Das Kloster Fahr wurde 1530 von den Frauen vollständig verlassen, doch gelang es, das Eigentumsrecht zu behaupten. In Einsiedeln bestellte der Abt 1527 den Dominikaner und bisherigen Münsterprediger von St. Gallen, Wendelin Oswald, der hier bis zu seinem Tode (1541) ausgezeichnet wirkte868. Im März 1529, nach dem berüchtigten Klostersturm in St. Gallen, flüchteten einige der dortigen Konventualen nach Einsiedeln, wohin sie auch die Reliquien der hl. Otmar und Notker mit sich brachten, die bis 1538 hier verblieben. Abt Ludwig gewährte seinen Mitbrüdern eine gastfreundliche Aufnahme. In der Au, wo eine Zeitlang der Freund Zwingiis, Leo Jud869 gewirkt hatte, wurden um 1540 die Schwestern, die bisher in vier verschiedenen Häusern gelebt hatten870, vereinigt. Trotz der durch die Reformation mit Zürich entstandenen Spannung ging übrigens Abt Ludwig am 30. September 1533 das Burgrecht ein, das in der Folge die Äbte stets erneuerten, so daß es sich bis heute, wenn auch in veränderter Form, erhalten hat871.
Natürlich hatte auch die Wallfahrt durch die Glaubenserneuerung stark gelitten. In den kritischen Jahren 1529 bis 1531 kamen indessen die katholischen Orte häufig an die Gnadenstätte, für die der Ausgang der Schlacht am Gubel von entscheidender Bedeutung war. Die Eidgenossen erklärten übrigens gesamthaft den 25. Juni 1533, daß sie bei dem, den 22. April 1466 ausgestellten Geleitsbrief für die Pilger zur Engelweihfeier, bleiben wollten; ebenso erneute man 1539 diesen Brief872. Während die Zürcher ihren Kreuzgang 1524 einstellten, führten die im Glarnerland katholisch gebliebenen Gemeinden ihren Kreuzgang wieder aus. Nidwaiden hielt seit 1540 seine Landeswallfahrt ab873.
Von den weltlichen Geschäften, die unter Abt Ludwig vorfielen, sind zu erwähnen die Anstände, die sich mit den Hofleuten von Pfäffikon und Wollerau wegen dem Eid, der Steuer an die Kirche zu Freienbach, dem Groß- und Kleinzehnten, dem Fall und Ehrschatz ergaben. Durch einen gütlichen Spruch vom 9. Januar 1528874 wurde die Angelegenheit beigelegt. Doch ergaben sich später wieder Anstände, weshalb der Spruch am 6. Februar 1536 bestätigt wurde875; ferner setzte es Streit ab wegen dem Holzhauen auf Einsiedler Boden, was den Höfnern durch Urteil vom 12. März 1541 erlaubt wurde876. Hingegen wurden sie mit ihren Forderungen in Straf- und Gerichtssachen den 21. März 1541 von Schwyz abgewiesen877. Mit Schwyz wurde den 15. Mai 1537 die Marchen, wie sie 1350 gezogen worden waren, erneuert878. Am 5. September des gleichen Jahres wurde die Fischer-Einung auf dem Zürchersee erneuert879. Gelegentlich sah sich auch Abt Ludwig genötigt, Geld aufzunehmen; so verpfändete er den 22. Dezember 1533 dem Johannes Weidmann die Klostergüter zu Pfäffikon, die ehedem Geroldseck und der Stiftsbaumeister Johannes Ort zu Lehen gehabt hatten: Dem Amtmann in Zürich, Hans Grimm, verpfändete er 1536 1600 Pfund Zürcher Währung, für den Schaden, den dieser durch Geroldseck erlitten hatte; zugleich sollte es eine Belohnung für treue Dienste sein880. Ein anderer treuer Diener des Klosters, der schon unter dem Vorgänger tätig gewesen war, Hans Ort, stiftete den 21. August 1536 mit 100 Goldgulden eine ewige Jahrzeit auf den Donnerstag nach St. Michael881. In Einsiedeln richtete der Abt 1539 einen neuen Ehrschatzrodel auf882. Für St. Gerold, wo auch sonst einige Geschäfte vorfielen, wurde 1540 eine neue Alpfahrtordnung gegeben883.
Von ganz besonderer Bedeutung war es, daß Abt Ludwig 1535 die ersten Novizen wieder aufnahm, die 1536 ihre Profeß ablegten. Es waren Rudolf Brunolt von Rapperswil und Joachim Eichhorn von Wil, beide von bürgerlicher Herkunft, ein Zeichen, daß man endgültig mit dem alten Brauche gebrochen hatte. Ihnen gesellten sich später noch fünf andere bei, dazu noch zwei Laienbrüder. Von diesen sandte der Abt einen nach Ochsenhausen, einen andern nach Hirsau, um die dortige Ordenszucht kennen zu lernen, um so im eigenen Stift diese zu heben. Tonsur und Ordenskleid wurden in ihrer Form, in der sie sich wohl bis heute erhalten haben, von St. Gallen her übernommen.
In der Regierung dieses Abtes macht sich das Bestreben geltend, das Kloster nach innen und außen zu heben. Über seine Verwaltung hat sich heute noch ein Rechnungsbuch, das allerdings nur die Jahre 1527-33 umfaßt, erhalten884. Nach 18jähriger Regierung starb Abt Ludwig den 26. Februar 1544. «Ist der statur nach ein schwärer Podagränischer Herr gewesen. Hat in der hinderen Abbtey, wie auch der von Rechberg, gehauset, an der forderen liess er mithin etwas bauen. Item die Bruck vnd Vnderstuben in dem Schloss Pfeffikon liess er machen885.

Schriften
Die Ausgaben des Abtes Ludwig II. von Einsiedeln in den Jahren 1527 bis 1533 (veröffentlicht von P. O. Ringholz in «Mitteilungen des historischen Vereins des Kts. Schwyz (1904) XIV. Heft, S. 1-47; dazu S. 48/49: Der ökonomische und finanzielle Stand des Stiftes Einsiedeln im Jahre 1544). Siehe auch: Acta historica Funeralium, Electionum, Confirmationum ab Abbate Ludowico usque Beatum, 1533-1781. Stiftsarchiv (A. WB 1, 2, 3). - Dietrich, Collect. A. IB 1, I., S.4-17.